150 JAHRE DNV
ANSPRACHE BEIM SCHIFFFAHRTSESSEN ANLÄSSLICH DES 150 JÄHRIGEN JUBILÄUMS DES
DEUTSCHEN NAUTISCHEN VEREINS AM 21. SEPTEMBER 2018.
Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Ehlers.
Man macht sicher nichts falsch, wenn man eine Ansprache beim 150jährigen Jubiläum mit einem Goethe-Zitat einleitet: „Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.“ Und ich ergänze das um ein weiteres Zitat, diesmal von Johannes Scherr, einem Schriftsteller, Historiker und etwas aufmüpfigen Politiker im 19. Jahrhundert: „Man muss die Vergangenheit kennen, wenigstens einigermaßen ahnen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu kennen.“
Nun, wir diskutieren im DNV zur Zeit sehr intensiv, wo wir heute stehen und wie es in Zukunft weitergehen soll. Da kann es durchaus hilfreich sein, sich auch seiner Vergangenheit zu vergewissern, wie alles entstanden ist und sich entwickelt hat. Eine umfassende Chronik des DNV gibt es bis heute nicht. Selbst die Historiker im dafür eigentlich prädestinierten Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven hat es bisher offenbar nicht gereizt, einmal die Entwicklung und Bedeutung des DNV für die Schifffahrt zu untersuchen. Natürlich ist es auch mir völlig unmöglich, in zehn Minuten einen wirklichen historischen Überblick zu liefern. Ich beschränke mich darauf, einige wenige Facetten unserer Geschichte anzutippen, die vielleicht für die Diskussion über die Zukunft erkenntnisreich sein können.
Wie ist alles entstanden? Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war für Deutschland eine Zeit des Aufbruchs und einschneidender Veränderungen. Dazu nur wenige Stichworte: Reichsgründung, wachsende Wirtschaft und internationaler Handel, Industrialisierung, rasante technische Entwicklung. In der Folge expandierte die Schifffahrt. Sie erhielt gesamtstaatliche Bedeutung, was auch in der Verfassung anerkannt wurde. „Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handelsflotte“, hieß es in der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867. Und so hat sich das bis zum Grundgesetz fortgesetzt, selbst mit dem heute altertümlich anmutenden Begriff „Kauffahrteischiffe“. Wichtige Schifffahrtsinstitutionen entstanden: die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, der Germanische Lloyd, die Norddeutsche, dann die Deutsche Seewarte – Vorläufer des BSH und des DWD – und die SeeBG. Die Hansa nahm als „Zeitschrift für das Seewesen“ ihre Arbeit auf. Von Apenrade bis Memel bildeten sich zunächst lokale Schifffahrtsvereinigungen, meist als nautische Vereine bezeichnet. Doch bald wurden Forderungen nach einem Zusammenschluss auf nationaler Ebene immer lauter. Das führte am 14. April 1868 nicht in Hamburg, sondern in Berlin – dort aber wenigstens in dem Hotel d’Hambourg – zur Gründung des DNV. „Sämtliche Nautischen Vereine Deutschlands und sonstige Freunde deutschen Seewesens vereinigen sich zu einer allgemeinen Gesellschaft unter dem Namen Deutscher Nautischer Verein“, wurde in der Gründungsurkunde festgehalten. Und so sind bis heute nicht nur die Nautischen Vereine, sondern daneben eine Reihe von Institutionen und Unternehmen Mitglied. Hier versammelten sich in der Tat die Freunde des Seewesens. Das ist eine frühe Ausprägung des heute als besonders wichtig hervorgehobenen Engagements der Zivilgesellschaft: kein Lobbyverband, der Partikularinteressen verpflichtet ist, sondern eine Vereinigung die sich für die Schifffahrt, die Meere insgesamt einsetzt.
Bei Entwicklung und Förderung des deutschen Schifffahrtswesens wurde der DNV sehr schnell zu einem gefragten Gesprächspartner. Seine Voten und Ratschläge wurden ernst genommen, auch wenn er zuweilen seiner Zeit voraus war, so in den 1870er Jahren bei der Forderung nach dem Bau eines Nord-Ostsee-Kanals. Allein die bloße Aufzählung der vielen Themen, mit denen er sich befasste, würde den Rahmen sprengen. Bei der internen Meinungsbildung kam es durchaus zu heftigen Auseinandersetzungen. Ein etwas anekdotisches Beispiel ist der heute kaum noch nachvollziehbare Streit, ob man in der Handelsschifffahrt weiter die Ruderkommandos „rechts“ und „links“ oder aber die von der Kaiserlichen Marine eingeführten Kommandos „Steuerbord“ und „Backbord“ verwenden sollte. Übrigens: wäre es nach der Mehrheit im DNV gegangen, würden heute noch die Kommandos „rechts“ und „links“ gelten.
So aktiv der DNV in diesen 150 Jahren zumeist war, es gab dennoch auch Perioden, während der die Arbeit mehr oder minder zum Erliegen kam. Dazu gehörte die Zeit des Ersten Weltkrieges. Das besserte sich erst wieder 1919 mit der Verlegung des Sitzes von Berlin nach Hamburg. Während der NS-Zeit wurde die Arbeit zunehmend eingeengt, bis sie schließlich ganz erlosch. Erst Mitte der 1950er Jahre ging es wieder aufwärts, nicht zuletzt auch auf Bestreben des Bundesverkehrsministeriums, dem an einem zentralen Ansprechpartner gelegen war.
Inhaltlich konnte der DNV stets auf die einzigartige Expertise der vielen Mitglieder der örtlichen Nautische Vereine und seiner anderen Mitglieder zurückgreifen. Für einzelne Themen wurden Arbeitsgruppen und Kommissionen eingerichtet; abschließende Diskussionen fanden in den anfangs zweitägigen Mitgliederversammlungen statt. 1909 wurde das mit dem Deutschen Seeschifffahrtstag institutionalisiert, der zunächst jährlich, dann in unterschiedlich langen mehrjährigen Abständen stattfand, unterbrochen durch eine lange Pause zwischen 1928 und 1959. Mit intensiven Fachvorträgen und –diskussionen sowie einem festlichen Schifffahrtsessen entwickelten sich die Seeschifffahrtstage bald zu einem herausragenden maritimen Forum. Seit den 1980er Jahren wird auch die Bevölkerung durch ein buntes Rahmenprogramm einbezogen. Viele Ministerpräsidenten, Bundes- und Landesminister, Staatssekretäre und leitende Repräsentanten der Marine sowie der maritimen Verbände haben die Plattform genutzt, um ihre schifffahrtspolitischen Vorstellungen zur Diskussion zu stellen. 1974 übernahm mit Gustav Heinemann erstmals ein Bundespräsident die Schirmherrschaft für den Seeschifffahrtstag und krönte die Veranstaltung mit seiner Teilnahme. Seither sind alle Bundespräsidenten seinem Beispiel als Schirmherr gefolgt. Fast alle haben auch persönlich an einem Seeschifffahrtstag teilgenommen, zuletzt Bundespräsident Gauck. Seit Langem wird der politische Dialog mit Regierung und Parlament ergänzend durch nautische Veranstaltungen früher in Bonn, inzwischen durch Parlamentarische Abende in Berlin gepflegt, für die das Bundesverkehrsministerium dankenswerter Weise die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.
1972 verabschiedete der DNV eine neue Satzung, die damals sehr zeitgemäß war, auch wenn sie inzwischen ungeachtet mancher Änderungen und Anpassungen einer Modernisierung bedarf. Eine ganz wesentliche Neuerung war die Verankerung eines Ständigen Fachausschusses. Er hat sich zu einem zentralen Organ des DNV entwickelt, in dem ausgewiesene Experten viele Vorschläge und Stellungnahmen zu aktuellen Schifffahrtsfragen erarbeitet haben. Die Themen umfassen Schiffssicherheit und Meeresumweltschutz genauso wie Besetzung und Ausbildung oder die Sicherung ausreichender Zufahrten zu den Seehäfen. Die Bedeutung des DNV lässt sich gerade an dieser Arbeit messen. Dennoch fehlt mir leider die Zeit, das im Einzelnen zu würdigen. Stattdessen zum Abschluss zumindest ansatzweise ein paar Gedanken, welche Anstöße für die Zukunft uns die Besinnung auf unsere Geschichte geben kann.
Befinden wir uns nicht auch heute in einer Zeit des Aufbruchs und des Umbruchs? Davon ist die Schifffahrt genauso wie viele andere Bereiche elementar betroffen.
Statt der Reichseinigung geht es heute um das Zusammenwachsen in Europa, nicht minder ambitioniert, aber unerlässlich, um in einer globalisierten Welt bestehen zu können. Wie werden wir gerade in dem international ausgerichteten Schifffahrtswesen noch unsere Arbeitsplätze, unser know how, unseren Wohlstand sichern können?
Die Gründung des DNV erfolgte zu der Zeit des Übergangs vom Segel- zum Motorschiff. Auch heute geht wieder um neue Antriebsarten, diesmal um solche, die klima- und umweltverträglich sind. Die von der IMO bis 2050 avisierte Halbierung der CO2-Emissionen stellt die Schifffahrt vor gewaltige Herausforderungen.
Industrie 4.0, Ausdruck der vierten industriellen Revolution, wird Seehandel und Schifffahrt entscheidend verändern, im Endstadium bis hin zum autonomen Schiff.
All diese Veränderungen lassen sich nicht ohne eine enge Einbeziehung der Zivilgesellschaft bewältigen. Das stellt uns vor die entscheidende Frage: Repräsentieren wir wie vor 150 Jahren denn noch die maritime Zivilgesellschaft? Oder sind inzwischen Wirtschafts- und Berufsverbände, technische Gesellschaften, Einrichtungen wie das Deutsche Maritime Zentrum und das Marineinstitut längst an unsere Stelle getreten? Meine Antwort: Das kommt darauf an: Ob es uns in Zukunft gelingt, den bei unseren Mitgliedern vorhandenen Sachverstand zu mobilisieren, unsere Mitglieder für die neuen Herausforderungen und deren Bewältigung zu begeistern. Vor allem aber, ob es uns gelingt, zusätzlich zu den vorhandenen Mitgliedern noch viel mehr – vor allem junge – Menschen von dem Wert eines Engagements für Schifffahrt und Meer zu überzeugen und für unsere Anliegen zu gewinnen. Dass der DNV dazu über die notwendigen Voraussetzungen verfügt, zeigt die 150jährige Geschichte. Nun liegt es an uns. Liebe Freunde des Seewesens, packen wir es an!